„Die Lehrerin – wie wir sie gewünscht und erzogen haben – soll sich mit ganzer Kraft ihrem Beruf widmen. Sie soll ausscheiden aus dem Beruf, wenn sie erkennt, daß sie in die Ehe eintreten und einen anderen hochwertigen Beruf ergreifen soll. Sie soll, solange sie in der Schule steht, ungeteilt sein. Und sie soll aus diesem Erleben heraus die Fähigkeit haben, den Lehrberuf auch als Lebensberuf zu sehen, sich ihm für immer zu weihen, und sie kann das um so mehr, wenn sie in der katholischen Kirche steht, die ihr in der Lehre von der gottgeweihten Jungfräulichkeit einen herrlichen Fingerzeig, ja eine Verklärung für diese Ganzheitsaufgabe des Berufes gibt. Es ist eine soziale Tat unseres Vereins, wenn er von seinen Mitgliedern erwartet, daß gerade sie, die Volkserzieherinnen, nicht Ehe und Schuldienst miteinander verbinden. Sie sollen vorleben, was sie als soziale Entwicklung erwarten: die Wiedergewinnung der Frau ungeteilt für Familie… Unser Ideal ist die Verbindung christlicher Jungfräulichkeit mit dem Lehrerinnenideal. Die ist in einer Zeit, wo ein heiliger Radikalismus dem Radikalismus der Gottlosen gegenübergestellt werden muß, so zeitgemäß wie je““ – Katholische Bildung 1955, S. 80 f
Der „Lehrerinnenzölibat“ war eine Vorschrift, die in vielen deutschen Ländern bis ins 20. Jahrhundert hinein galt und verheirateten Frauen die Ausübung des Lehrberufs untersagte. Diese Regelung basierte auf der Vorstellung, dass die Rolle der Frau vorrangig in der Familie und im Haushalt zu sehen sei und eine berufliche Tätigkeit die familiären Pflichten beeinträchtigen würde. Erst mit dem Wandel der gesellschaftlichen Auffassungen über die Rolle der Frau im Berufsleben und im Zuge der Frauenbewegung wurde diese Praxis schließlich aufgehoben.
Der Lehrerinnenzölibat ist ein aufschlussreiches Beispiel für die institutionelle Diskriminierung von Frauen, die aus heutiger Sicht nicht nur als überholt, sondern auch als absurd erscheint. Historiker beschreiben, wie dieser Zölibat nicht nur die beruflichen, sondern auch die persönlichen Freiheiten von Frauen einschränkte. Ein Lehrer musste nach dieser Regelung entscheiden: entweder für eine Ehe oder für eine Karriere. Diese Vorschrift reflektiert die patriarchalische Denkweise jener Zeit, die Frauen primär als Ehefrauen und Mütter sah, deren Hauptaufgabe die Kindererziehung und die Unterstützung des Ehemannes war.
„Die Lehrerin sollte sich ganz ihrer Aufgabe widmen, die Kinder unserer Nation zu erziehen und zu unterrichten. Eine verheiratete Frau kann diese Aufgaben nicht mit voller Hingabe erfüllen“, so lautete die Argumentation, die oft zur Rechtfertigung des Lehrerinnenzölibats herangezogen wurde.
Vom Standpunkt des modernen Feminismus aus betrachtet, symbolisiert der Lehrerinnenzölibat eine klare Unterdrückung der Frau und ihrer Fähigkeiten. Er steht exemplarisch für die vielen Barrieren, die Frauen im Laufe der Geschichte überwinden mussten, um in der Arbeitswelt Anerkennung und Gleichberechtigung zu erlangen. Sarkastisch könnte man anmerken, dass es fast so scheint, als hätte man damals geglaubt, die intellektuelle Kapazität einer Frau würde durch den Ehering magisch halbiert.
Heute sind Frauen nicht nur in Lehrberufen, sondern in allen Berufsfeldern vertreten und leisten unverzichtbare Beiträge in Wissenschaft, Wirtschaft, Politik und Kultur. Die moderne berufstätige Frau, die „viel weiß“, steht im starken Kontrast zur beschränkten Rolle, die Frauen durch Regelungen wie den Lehrerinnenzölibat zugewiesen wurde. Ihr Wissen und ihre Kompetenz tragen maßgeblich zur Weiterentwicklung unserer Gesellschaft bei. Die Ironie dabei ist, dass die Gesellschaft, die einst glaubte, Frauen würden durch Heirat zu weniger fähigen Lehrkräften, heute von genau den Fähigkeiten und Kenntnissen profitiert, die sie einst zu unterdrücken suchte.
Der Lehrerinnenzölibat ist somit mehr als nur ein historisches Relikt; er ist ein Mahnmal dafür, wie gesellschaftliche Strukturen und Normen genutzt wurden, um Frauen systematisch von Bildung und beruflicher Entfaltung fernzuhalten. Er zeigt uns, wie weit wir gekommen sind, aber auch, wie wichtig es ist, wachsam zu bleiben und dafür zu sorgen, dass solche diskriminierenden Praktiken der Vergangenheit angehören.